
Protektionismus, Nationalismus, Brexit – alle diese Schlagwörter müssen Unternehmen auf dem Radar haben, wenn sie international agieren möchten.
Was bedeutet es für die weltweit operierenden Unternehmen? Wie wird aus Angst Zuversicht? Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns in diesem Interview.
Wir haben Professor Philipp Harms an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz getroffen. Er ist einer der führenden Wissenschaftler für internationale Wirtschaftsbeziehungen.
RLP International: Lassen Sie uns plakativ starten: Was ist der große Mehrwert für kleine und mittlere Unternehmen, wenn sie im Ausland Unternehmungen starten?
Prof. Philipp Harms: Ein größerer Markt, mehr Kunden. Und sie stellen sich einfach breiter auf, profitieren von einer besseren Risikostreuung! Es ist nicht garantiert, dass die derzeitige konjunkturelle Situation in Deutschland ewig so weitergeht. Beim Export in verschiedene Märkte gleicht die hohe Nachfrage aus einem Land eventuell die zurückgehende Nachfrage aus dem anderen Land aus.
RLP International: Die rheinland-pfälzische Wirtschaft ist großteils durch kleine und mittlere Unternehmen geprägt. Welche Empfehlung geben Sie den Unternehmern in diesen Zeiten? Wo liegen die Chancen, wo die Herausforderungen?
Prof. Philipp Harms: Ich möchte mit den Chancen beginnen. Deutschland profitiert meines Erachtens sehr davon, dass viele Schwellenländer sich modernisieren und wir somit eine große Nachfrage nach Investitionsgütern haben.
Viele kleine und mittlere Unternehmen in Rheinland-Pfalz bieten eben solche Produkte an, die in Produktionsprozessen eingesetzt werden.
Das beste Beispiel ist China, aber auch andere Auslandsmärkte in Lateinamerika oder auch Indien haben diesbezüglich eine hohe Nachfrage.
Die Herausforderung besteht darin, dass die Abschottung des eigenen Marktes plötzlich wieder salonfähig wird. Wir haben eine US-amerikanische Regierung, die offen einen „Steinzeitprotektionismus“ propagiert. Wenn diese Ankündigungen umgesetzt werden, wird es für exportierende Unternehmen schwer. Außerdem wird so ein Beispiel möglicherweise von anderen Ländern imitiert. Diese Entwicklungen sind mit großer Sorge zu betrachten.
RLP International: Der Brexit, der Austritt der Briten aus der Europäischen Union, rückt immer näher und es gibt noch viele Fragezeichen. Was erwarten Sie?
Prof. Philipp Harms: Im Moment zeigt sich das, was einigen schon vor dem Brexit klar war: Die Europäische Union ist für Großbritannien wichtiger als Großbritannien für die EU. Ich glaube, sowohl die britische Industrie als auch der Dienstleistungssektor sind sich bewusst, was sie verlieren, wenn sie den Zugang zum europäischen Markt aufgeben.
Das heißt, Großbritannien wird irgendwann Zugeständnisse machen müssen, insbesondere was die Verpflichtungen gegenüber der EU angeht. Das ist umso wichtiger, da sie sonst nicht zum nächsten Schritt kommen, in dem es um die Handelsbeziehungen geht.
Im Moment bemüht sich die britische Regierung um eine Art „EU light“. Das bedeutet: Von allen Verpflichtungen zurückziehen, aber gleichzeitig die Vorteile des EU-Binnenmarktes weiterhin nutzen. Ob dies gelingt, werden wir sehen.
RLP International: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer war im vergangenen Jahr als Bundesratspräsidentin in Argentinien. Sie wurde auch von einer Delegation von rheinland-pfälzischen Wirtschaftsvertretern begleitet. Wie beurteilen Sie das Land ökonomisch?
Prof. Philipp Harms: Argentinien ist mehr Zukunftsmarkt als noch vor fünf Jahren. Vor fünf Jahren war das Land völlig zerrüttet. Die Regierung Kirchner hat dem Land sicher nicht gutgetan. Argentinien hat jetzt mit Mauricio Macri einen neuen Präsidenten, der das Land zu sanieren versucht.
Ein wichtiger Punkt war zum Beispiel, die ständigen Querelen mit dem internationalen Finanzmarkt auszuräumen. Das war sein Verdienst. Dass der Staat sich aus der Wirtschaft zurückzieht, ist ebenso wichtig. Insofern ist die Entwicklung Argentiniens erfreulich.
Wenn der Präsident es weiter klug anstellt und er die Zustimmung in der Bevölkerung behält, wird das Land weiterhin gesunden und dann kann man davon ausgehen, dass Argentinien ein wichtiger Handelspartner sein wird.
Prof. Philipp Harms bringt seine Haltung auf den Punkt:
Der Außenhandel ist derzeit eine unverzichtbare Quelle des Wohlstands.
Die Wachstumsmärkte schlechthin sind derzeit die Schwellen- und Entwicklungsländer.
Der Vorteil des Auslandsgeschäfts ist eine Unabhängigkeit von den nationalen konjunkturellen Bedingungen.
RLP International: Wir sollten aber den Fokus nicht nur auf Argentinien legen, sondern auf Lateinamerika insgesamt. Überwiegt da auch mehr Licht als Schatten?
Prof. Philipp Harms: Lateinamerika war bis vor einiger Zeit eine Region, die nicht zur Ruhe kam. Das ist im Moment – mit Ausnahme von Venezuela, das derzeit im Chaos versinkt, und Brasilien, das auch Schwierigkeiten hat – anders. Viele lateinamerikanische Länder sind in einer Phase der Erholung und das bietet auch eine Grundlage für offene Handelsbeziehungen.
RLP International: Lassen Sie uns nach China blicken. Das Wirtschaftsministerium plant in diesem Jahr zwei Auslandsreisen in das Reich der Mitte. Wie wichtig wird der chinesische Markt für Rheinland-Pfalz?
Prof. Philipp Harms: China ist weiter dabei, sich rasant zu entwickeln. Ich glaube aber auch, dass sich derzeit etwas ändert.
In den ersten zehn Jahren des neuen Jahrtausends war es so, dass man irgendwo Dinge entwickelte, die dann in China produziert wurden. Man profitierte von den billigen Arbeitskräften in China.
Jetzt möchte das Land diese Technologien selbst entwickeln und in der Wertschöpfungskette an einer anderen Stelle stehen. Das ist natürlich ein Prozess, der nicht von heute auf morgen gelingt, aber ich bin zuversichtlich.
Für Produzenten hochwertiger Anlagegüter bietet dies gute Chancen. Und natürlich steigt mit zunehmendem Einkommen auch die chinesische Nachfrage nach Konsumgütern.
RLP International: Die Wirtschaftsreisen des Landes Rheinland-Pfalz gehen nicht nur in die großen Metropolen, sondern auch in Regionen – wie Fujian oder Shaanxi –, die bisher in Deutschland weniger bekannt sind. Was halten Sie von dieser Strategie?
Prof. Philipp Harms: Das halte ich für richtig. Es ist auch die Strategie der chinesischen Regierung, die Konzentration auf die Küstenregionen aufzugeben. Die Prosperität muss sich irgendwann mal fortbewegen aus diesen Ballungszentren, die seit Jahren im Gespräch sind.
RLP International: Welchen Wachstumsmarkt auf der Welt haben wir jetzt noch nicht beleuchtet?
Prof. Philipp Harms: Über Afrika haben wir noch gar nicht gesprochen. Politisch betrachtet ist der Kontinent dabei, zur Ruhe zu kommen.
Ich spreche nicht von den arabischen Ländern im Norden, ich spreche von Subsahara-Afrika, von Ländern wie Tansania oder Namibia.
Es gibt viele afrikanische Länder, die ein starkes Bedürfnis haben, aufzuschließen, Investitionen zu tätigen in Infrastruktur und neue Produktionsanlagen.
RLP International: Es gibt viele Unternehmer, die über das Auslandsgeschäft nachdenken, aber den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Welche Tipps können Sie geben?
Prof. Philipp Harms: Das zentrale Thema ist zunächst, Informationen zu bekommen. Sie müssen den Markt kennen und das ist für viele Unternehmen die entscheidende Hürde.
Was weiß ich denn über den Markt in China, über Argentinien? Ein kleines, mittelständisches Unternehmen muss erst mal an die Informationen kommen und da kann ein Wirtschaftsministerium eine Brücke schlagen, Informationen bereitstellen.
Mein Tipp an die Unternehmen: Informationsangebote wahrnehmen!